Rubrik | Berufsfeuerwehr |
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Thema | Trennung Rettungsdienst / Feuerwehrdienst (Personal) - war: Personalnot bei der Feuerwehr #
| 127 Beiträge |
Autor | Seba8sti8an 8K., Grafschaft / RLP | 859446 |
Datum | 15.06.2020 12:42 MSG-Nr: [ 859446 ] | 3806 x gelesen |
Infos: | 14.06.20 Stadtdirektor Keller: Von den 950 Stellen in der Berufsfeuerwehr seien nur rund 70 unbesetzt 12.06.20 Feuerwehr + Rettungsdienst
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Verkehrsunfall
Feuerwehrdienstvorschrift
Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren (AGBF), freiwilliger Zusammenschluss der Leiter der Berufsfeuerwehren Deutschlands
In einem Satz zusammengefasst sagen die AGBF-Schutzziele praktisch irgendwie folgendes: Eine Feuerwehr muss heute so aufgestellt sein, dass sie zur Rettung einer eingeklemmter Person nach VU auf der Stadtautobahn so zeitnah und personell so besetzt eintrifft, wie sie im Jahr 1978 eine Person zur Überlebensgrenze aus einem 1939 gebauten Brandraum, der keine Fenster hat und in dem nur Holzmöbel, Papier und Stoff brennen, zu 90% hätte retten können.
Klingt komisch, oder?
Schauen wir auf das Entstehen des AGBF-Schutzziels: In den 90er haben die Kommunen überall nach und nach auf das sog. Neue Steuerungsmodell umgestellt, Teilaspekt davon war, alle möglichen kommunalen Leistungen mit irgendwelchen Kennzahlen zu füttern. Es hat dann auch bei den Feuerwehren nicht mehr gereicht, zu sagen der Löschzug nach FwDV 5 hat X Funktionen und muss schnell vor Ort sein, sondern man musste der Politik irgendwelche Zahlen präsentieren, mit denen man jonglieren und an deren Ende man für den quantitativen und zeitlichen Aspekt irgendeine Basis hervorzaubern konnte. Und wie das bei solchen Zahlenspielen ist, damit man anfangen kann zu rechnen, muss man einzelne Gegebenheiten voraussetzen. Also hat man als standardisiertes Schadensereignis einen "kritischen Wohnungsbrand" genommen, d.h. einen Wohnungsbrand im Obergeschoss eines mehrgeschossigen Gebäudes mit mehreren Nutzungseinheiten und verrauchtem Treppenraum, da dieser Brand erfahrungsgemäß die meisten Personenschäden hervorruft. Angesichts der Lagebeschreibung verwundert das wohl auch kaum.
Bei dieser Festlegung, und der Frage, welche Zeiten man für eine spätestmögliche Personenrettung aus diesem "kritischen Wohnungsbrand" ansetzt, hat man auf Aussagen der Orbit-Studie zurückgegriffen - aus dem Jahr 1978 stammend. Diese wiederum nimmt zur Ausbreitung eines Brandes Daten an, die aus einer Realbrandstudie aus den USA stammen - aus dem Jahr 1939 (hier beschrieben). Und das sind noch die wissenschaftlicheren Bestandteile der Studie.
An dieser Stelle könnten einem dann unzählige Fragen in den Sinn kommen. Sollten aktuelle Schutzziele doch eher Rauchmelder berücksichtigen? Oder die Kunststoffanteile in einer zeitgemäßen Brandlast? Wieviele Wohnungsbrände finden im Erdgeschoss statt? Oder im Einfamilienhaus? Mit wievielen Rauchtoten? Hat sich baulich zur Brand-/Rauchausbreitung zwischen Nutzungseinheiten vielleicht auch inzwischen was geändert? Sterben heute immer noch, wie in der Orbit-Studie, knapp 1/3 aller Brandtoten besoffen, und ist die Zigarette in stolzen 41% Brandursache des kritischen Wohnungsbrandes? Und in welcher Richtung könnte/sollte das dann im politischen Schutzziel berücksichtigt werden?
Geschrieben von Ingo z.Gibt es eine valide Quelle das mit der Einhaltung des AGBF Schutzzieles weniger Personen sterben? Das Schutzziel selbst ist und hat keine valide Quelle. Es ist nur ein politisch motiviert entstandenes Instrument zur Bedarfsplanung, mehr nicht. Natürlich wird die tägliche Arbeit der Feuerwehren dadurch auch beeinflusst, aber ein Erreichungsgrad von 89%, 91%, 100% oder 60% hat zum tatsächlichen Schutz für die Bevölkerung der jeweiligen Stadt heute praktisch 0 Bezug. Dafür sind die der Bedarfsplanung zugrunde gelegten Daten einfach zu veraltet, und obendrein auch zu spärlich. Einfach mal in die Orbit-Studie schauen, wieviele Einsätze, wieviele Brandtoten da tatsächlich näher untersucht wurden. Würde das heute so noch als Studie durchgehen?
Dass diese Qualitätskritierien trotzdem weiter tapfer als allgemein anerkannte Regel der Technik gewertet werden, ist einerseits..., andererseits müsste man natürlich auch erstmal etwas anderes finden. Und das dann der Politik gegenüber auch so darstellen, dass am Ende irgendeine vertretbare, angenehme, realistisch zu finanzierende Verbreitung von Feuerwachen und Feuerwehrmenschen bestehen bleibt. Mit der simplen Erkenntnis, dass eben nicht jeder Teil der staatlichen Daseinsvorsorge komplett mit wissenschaftlich fundierten Kennzahlen vorkalkuliert werden kann, wird sich die Politik aber auch nicht mehr anfreunden, also muss man sich halt mit solchen Instrumenten weiter behelfen, um dem besoffenen, mit Zigarette einschlafenden Bürger das Produkt Feuerwehr auch weiterhin möglichst bedarfsgerecht anzubieten.
"In der Regel machen es die reinen Experten nicht gut. Das ist wie vor Gericht. Der Zeuge weiß, wie es war, versteht aber nichts. Der Gutachter versteht alles, weiß aber nicht, wie es war. Der Richter versteht nichts und weiß nichts, aber er entscheidet - nachdem er alle angehört hat." (Wolfgang Schäuble, Stern-Interview vom 20.06.2013)
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| 04.06.2020 09:02 |
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Wolf7gan7g K7., Deißlingen Personalnot bei der Feuerwehr | |