Die Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Tübingen und Esslingen haben dem Bundeskanzler einen kleinen Brief zukommen lassen, um auf die Auswirkungen der Bürokratie auf die kommunale Praxis aufmerksam zu machen. Darin sind auch ein paar Punkte mit Feuerwehrbezug genannt:
B wie Brandschutz
Jeden Sinn für das reale Ausmaß von Gefahren haben die Vorschriften für Fluchtwege und Brandschutz in öffentlichen Gebäuden verloren. Während die Todesstatistik nachweist, dass Feuer vor allem im Schlaf in den heimischen Wänden gefährlich ist und Opfer in öffentlichen Gebäuden wie Schulen oder Konzerthäusern so gut wie nie zu beklagen sind, werden weiterhin Milliarden in alte öffentliche Gebäude gesteckt und Nutzungen untersagt. Die Festung Hohentübingen gehört zu den sichersten Orten in der Stadt. Der Innenhof des Schlosses ist gekiest, brennen kann da nichts und ein Attentäter käme mit einem LKW nicht mal durch das Tor. Trotzdem wurden selbst Klassikkonzerte verboten, weil die Herzöge von Württemberg vor 500 Jahren die heutigen Normen für Fluchtwegbreiten missachtet haben.
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F wie Funktionsloser Lärmschutz
Anfang dieses Jahres wurde in Tübingen ein neues Feuerwehrhaus eingeweiht. Zwischen den Parkplätzen der Feuerwehrleute und einer stark befahrenen Straße steht eine Lärmschutzwand. Sie war rechtlich zwingend notwendig, um die Wohnhäuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor dem Lärm zu schützen, den anrückende Feuerwehrleute auf dem Parkplatz erzeugen könnten, besonders durch knallende Autotüren.
Dass die Anwohner kaum eine Chance haben, den Lärm des Parkplatzes wahrzunehmen, weil die mehr als 20.000 Fahrzeuge auf der Straße viel lauter sind, spielt dabei keine Rolle. Die Grenzwerte für Lärm von Parkplätzen gelten absolut, egal wie laut es an der Straße ohnehin schon ist. Rechnerisch schützt die Wand die Anwohner vor fiktivem Lärm, in der Realität ist es aber lauter als zuvor. Denn die Lärmschutzwand auf der falschen Straßenseite wirft den Lärm der Straße zurück zu den Häusern, 24 Stunden am Tag und nicht nur bei Einsätzen der Feuerwehr.
Ergebnis: Alle Vorschriften sind erfüllt, 200.000 Euro sind verplant und verbaut und die Anwohner haben mehr Lärm. Für die Entscheider vor Ort gab es aber nur die Möglichkeit, diese Auflagen zu erfüllen.
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M wie Monatliche Umsatzsteuervorauszahlung für Vereine
Regelmäßig betonen wir politisch Verantwortlichen aus Überzeugung den hohen Wert des Ehrenamtes, insbesondere in unseren Vereinen. Konkret jedoch steigen die Belastungen der Ehrenamtlichen durch rechtliche Vorgaben immer weiter. Beispielsweise sind durch die Gesetzeslage bei der Umsatzsteuer nunmehr alle privatrechtlichen Tätigkeiten von Kommunen im weitesten Sinne umsatzsteuerpflichtig. Was bedeutet das?
Beispiel freiwillige Feuerwehr: Bisher führen die Kassierer bei uns in Schwäbisch Gmünd, aber auch in anderen Städten, die Kameradschaftskassen selbstständig ohne grundsätzlich mit dem Umsatzsteuerrecht in Berührung zu kommen. Da das Vermögen der Feuerwehr als Sondervermögen gilt und somit zum Haushalt der Stadt gehört und die Kameradschaftskassen privatrechtliche Tätigkeiten ausüben, werden die Kameradschaftskassen an die Umsatzsteuervoranmeldungen der Stadt gekoppelt.
In Schwäbisch Gmünd wird die Umsatzsteuervoranmeldung jeden Monat durchgeführt. Dies bedeutet, dass nun die Kassierer die Kameradschaftskassen monatlich abrechnen und die umsatzsteuerrelevanten Beträge ausweisen und an die Steuerabteilung der Stadt Schwäbisch Gmünd melden müssen. Bei den Einnahmen, die privatrechtlicher Grundlage sind und der Kameradschaftspflege dienen sollen, müssen nun 19% Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt werden. Für die ehrenamtlich tätigen Kameraden verursacht die steuerliche Neuregelung einen erheblichen Mehraufwand und eine finanzielle Belastung.
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U wie Unfallverhütung
Oft ist der schiere Umfang der Vorschriften so unverhältnismäßig groß, dass es Menschen gar nicht möglich ist, sie im Alltag zu erfüllen. Allein die DGUV 70 zur Unfallverhütung im Betrieb von Fahrzeugen umfasst sage und schreibe 100 Seiten. Es gibt einfach nichts, was dort nicht geregelt wird. Fahrzeuge mit Knickeinrichtungen müssen mit einer formschlüssigen Feststelleinrichtung gegen Einknicken gesichert werden können und selbstverständlich müssen Betätigungseinrichtungen so angeordnet, beschaffen, gestaltet und, sofern ihre Zuordnung, ihr Schaltsinn und Schaltzustand nicht eindeutig erkennbar sind, dauerhaft gekennzeichnet sein. Warum aber muss ein Beschäftigter, der einen Führerschein hat und täglich mit seinem Fahrzeug unterwegs ist, einmal pro Jahr in die Bedienung seines Fahrzeugs eingewiesen werden? Sollte es nicht reichen, das einmal zu machen, wenn ein Beschäftigter eingestellt wird oder ein neues Fahrzeug angeschafft wird? Um die Sache möglichst kompliziert zu machen, muss die jährliche Unterweisung die Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes berücksichtigen.
Allein mit der Erstellung dieser Gefährdungsbeurteilungen werden Millionen von Arbeitsstunden in Deutschland verschwendet. Was soll dabei herauskommen, wenn der Sicherheitsbeauftragte der Stadtverwaltung das Büro des Oberbürgermeisters überprüft, um eine aktuelle Gefährdungsbeurteilung zu erstellen? In einem denkmalgeschützten Gebäude wird dann auf eine nicht DIN-gerechte Höhe der Türschwelle verwiesen und zu besonderer Achtsamkeit beim Betreten des Raumes aufgefordert. Ein Musikschullehrer wird über die Risiken von umfallenden Musikinstrumenten aufgeklärt, insbesondere, wenn leichtes Schuhwerk getragen wird. Wir sind uns sicher, dass durch die Gefährdungsbeurteilungen bei üblichen Tätigkeiten in Stadtverwaltungen nicht ein einziger Unfall verhütet, sondern nur unermesslich viel Papier beschrieben wird.
Im Übrigen werden die Unterweisungen bei vielen Mitarbeitern als Zweifel an ihrem gesunden Menschenverstand empfunden.
Lösungsvorschläge werden auch genannt. Und irgendwie musste ich auch dabei oft an die Feuerwehrwelt denken.
1. Die Angst vor der Verantwortung überwinden
Von Jahr zu Jahr werden die Geländer immer höher, die Fundamente immer dicker, die Fluchtwege immer breiter. Das passiert auch, wenn gar keine Gesetzesverschärfung stattgefunden hat. Wenn ein konkreter Sachverhalt zu bewerten ist, dann gerät immer der in Rechtfertigungsdruck, der etwas erlaubt. Wer hingegen unter Verweis auf die Sicherheit von Menschenleben etwas verbietet, ist selbst auf der sicheren Seite. So setzt sich mit der Zeit immer die strengere Interpretation der Vorschriften durch. Es gehört viel Überzeugung und persönliche Risikobereitschaft dazu, etwas zu gestatten, das andernorts aus Gründen der Sicherheit untersagt ist. Gegen diese Eskalationsspirale der Angst sind Klarstellungen nötig. Niemand sollte ein persönliches Risiko tragen, wenn er Forderungen ablehnt, die über das Gesetz hinausgehen. In vielen Bereichen wäre es sogar sinnvoll, der Gesetzgeber würde es verbieten, dass seine Vorschriften zum Beispiel von Versicherungen eigenmächtig verschärft werden.
2. Die Suche nach den Schuldigen einstellen
Eng verbunden mit der Angst vor Verantwortung ist die Lust an der Suche nach Schuldigen. Wenn es zu einem tragischen Unglück kommt, ist die erste Frage der Medien und später der Staatsanwälte, wer daran schuld ist. Lag dem Unglück eine Genehmigung zu Grunde, wird auf diejenigen gezeigt, die unterschrieben haben. Das Wissen um dieses Risiko sorgt dafür, dass jedes noch so sinnlose Papier eingefordert wird, um selbst auf der sicheren Seite zu sein. Dass dabei meistens kein realer Sicherheitsgewinn mehr zustande kommt, spielt keine Rolle. Das englisch trefflich blame game genannte Spiel sollten wir bleiben lassen.
3. Altpreußischen Perfektionismus überwinden
Je mehr ein Land durchreguliert ist, umso geringer ist der Zugewinn weiterer Regeln. Der Begriff des Grenznutzens ist aus der Ökonomie wohl bekannt, in der Bürokratie aber weithin verkannt. Ob es sich noch lohnt, auf ein Schutzniveau von 99% weitere 0,1% draufzusatteln, wird kaum diskutiert, vor allem nicht, wenn es um Gefahren für Leib und Leben geht. Das klingt auf den ersten Blick richtig, jedes Leben ist kostbar. Es ignoriert aber, dass ein Leben ohne Risiko gar nicht so lebenswert ist man muss dazu nicht mal Ski oder Auto fahren, es reicht schon, einen Schrank auszuräumen oder ins Restaurant zu gehen, nichts davon ist 100% sicher. Und es missachtet, dass in einer Welt begrenzter Ressourcen ein extremer Aufwand für ein Problem dazu führt, dass man andere Probleme unbeachtet lässt. Wir müssen als Gesellschaft Risiken besser bewerten und Restrisiken als solche akzeptieren.
4. Silodenken überwinden
Bürokratien sind hierarchisch organisiert und in Silos zergliedert. Man nennt das Zuständigkeit. Was die Zuständigkeit anderer ist, geht mich nichts an. Dieser Insel-Perfektionismus produziert so schwere Fehlkalkulationen. Manche Sicherheitsvorschriften führen nur im Verantwortungsbereich des Zuständigen zu einer Verbesserung, aber insgesamt betrachtet zu einer Verschlechterung. Wer Normen verschärft, sollte daher nachweisen müssen, dass der Schaden an anderer Stelle nicht weitaus größer ist als der erhoffte Nutzen.
5. Problemdistanz des Normgebers verringern
So wie der Blick nach rechts und links oft fehlt, ist auch die Entfernung zum Problem häufig ein Problem. Wenn wir in den Rathäusern fragen, wer sich das denn nun wieder ausgedacht hat, ist das meist schwer zu beantworten. Mal ist es ein Fachgremium, das gar keine demokratische Legitimation hat, aber durch Verweise in Verordnungen quasi Gesetzgebungskompetenz erlangt hat. Mal ist es ein Parlament, das aus kommunaler Sicht drei oder vier Hierarchiestufen entfernt ist und wenig davon mitbekommt, was die jüngste gut gemeinte Gesetzesverschärfung vor Ort verursacht. Die berühmte Brüsseler Gurkenkrümmungsverordnung gibt es zwar nicht mehr, aber die Datenschutzgrundverordnung hat sie in Eingriffstiefe und Absurdität längst überholt. Die Länderkammer sollte die Interessen der kommunalen Basis im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen, tut dies aber mangels Kompetenz selten. Städte und Gemeinden müssen daher institutionell stärker eingebunden werden, wenn sie Regelungen umzusetzen haben.
"Experten sind Leute, die 99 Liebesstellungen kennen, aber kein einziges Mädchen"
(Didi Hallervorden)
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