Rubrik | Rettungsdienst |
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Thema | Hilfsfrist in BaWü | 168 Beiträge |
Autor | Urs 8W., Heidelberg / | 545717 |
Datum | 27.02.2009 10:57 MSG-Nr: [ 545717 ] | 47260 x gelesen |
Infos: | 05.05.23 Gericht rügt Rettungsdienstplan des Landes 01.12.16 MM: Rettungsdienst 21.09.16 IM BaWü: Rettungsdienst in Baden-Württemberg weiter ausgebaut 09.07.13 IM BaWü: Hilfsfrist 2012 in noch mehr Rettungsdienstbereichen eingehalten 06.05.09 BaWü: Rettungsdienste oft nicht schnell genug
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Rettungsdienst
Deutsches Rotes Kreuz
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Stimmt - alles bekannt! So gut es ist, daß sich die Presse mit dem Thema beschäftigt, so schade ist es, daß nie die eigentlichen Problempunkte benannt und hinterfragt werden.
Man kann lange auf Eintreffzeiten in Hamburg rumreiten - aber das ist ein Stadtstaat, solche Eintreffzeiten kann ich aufgrund der Topographie unmöglich beispielsweise in Teilen des Hochschwarzwaldes einhalten. ABER: wieso gibt es in der Schweiz nachtflugtaugliche Rettungshubschrauber - in BW nicht? Wieso liegt die Trägerschaft des RD bei den HiOrgs und nicht bei den Städten und Kreisen? Wie kann es sein, daß in sehr vielen Landkreisen die Landräte gleichzeitig die Vorsitzenden der DRK-KV sind (zur Erinnerung: der Landrat hat eine neutrale Aufsichtsfunktion!!!)? Welche Qualität haben die vorliegenden Eintreffstatistiken, wenn die Zahlen teilweise mehr als verwunderliche Auffälligkeiten zeigen? Wieso müssen private Initativen das DRK mehrmals auffordern und die Aufsichtsbehörden einschalten, weil das DRK auf manchen Rettungsmitteln die vom Sozialministerium vorgeschriebene NOTRUFNUMMER 112 nicht bewirbt, sondern die kostenpflichte Service-Hotline 19222?
Alles Fragen, die leider in der Presse kein Gehör finden. Ich dabei daher hohen Respekt vor Herrn Spohn, der mit viel Engagement und Ausdauer für Verbesserungen kämpft!
Zu den Hintergründen in BW, hier der Text eines Berichtes von mir zu dem Thema aus der FEUERWEHR (UB) von 2008:
Wie lange der Rettungswagen bis zum Patienten höchstens brauchen darf ist in jedem Bundesland unterschiedlich. In Hamburg liegt die Frist bei 8 Minuten, im Saarland bei 10 Minuten und in Baden-Württemberg sogar bei 15 Minuten. Die Feuerwehr in Baden-Württemberg hat nach den „Hinweisen zur Leistungsfähigkeit einer Gemeindefeuerwehr“ eine Eintreffzeit des ersten Fahrzeuges von höchstens 10 Minuten. Nach weiteren fünf Minuten müssen spätestens zusätzliche Einheiten zum Bekämpfen eines Wohnungsbrandes vor Ort sein. Sehr interessant beim Blick über den Tellerrand sind übrigens die Vorgaben für die Polizei. Seit Ende der 90er Jahre gibt es keine festen Eintreffzeiten mehr. Die ursprüngliche Regelung wurde nach Auskunft eines Pressesprechers ersatzlos gestrichen. In Stuttgart soll es jedoch eine interne Zielvorgabe von 5 Minuten Interventionszeit geben. Zur Erinnerung: der Rettungsdienst soll erst nach 15 Minuten vor Ort sein!
In Baden-Württemberg gibt es 37 Rettungsdienstbereiche, die mit den Stadt- und Landkreisen nahezu identisch sind. Im Jahr 2006 konnten jedoch in nur 13 dieser Rettungsdienstbereichen die vorgeschriebene Hilfsfrist eingehalten werden. Dies entspricht einer Quote von 35%. Im Jahr 2005 waren es 16 Rettungsdienstbereiche (43%). In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Dr. Ulrich Noll vom 19. Dezember 2007 äußerte sich das Sozialministerium Baden-Württemberg dahingehend, dass „kleinste Überschreitungen der Hilfsfristgrenze (bereits im Sekundenbereich) zu statistisch relevanten Hilfsfristüberschreitungen führen“. Demnach haben sechs Rettungsdienstbereiche im Jahr 2006 die Vorgaben um nur maximal eine Minute überschritten. Hierzu ist jedoch zu sagen, dass die herangezogene Frist von 15 Minuten laut Rettungsdienstgesetz nur das Maximum und nicht die angestrebte Zielgröße von 10 Minuten darstellen. Wörtlich heißt es im Gesetz: „Die Hilfsfrist soll aus medizinischen Gründen möglichst nicht mehr als 10, höchstens 15 Minuten betragen“. (RDG §3, Absatz2) Diese 15-Minuten-Regel gilt für 95% der Gesamteinsätze. Bei der Frage ob diese „SOLL-Regelung“ juristisch einklagbar ist, wird meist entgegnet, dass es sich hier bewusst um eine nicht verbindliche Regelung („soll“) handelt. Dem entgegen steht jedoch eine Auslegung im Handbuch für Verwaltungsbeamte: „Soll-Vorschriften verpflichten den Adressaten, lassen aber Ausnahmen in atypischen Fällen zu.“ Kann bei einer regelmäßigen Überschreitung der Hilfsfrist von „atypischen Fällen“ gesprochen werden? Und auch das Bundesverwaltungsgericht hat sich ähnlich geäußert, demnach sind „Soll-Vorschriften ebenso verbindlich wie Muss-Vorschriften, solange die Verwaltung nicht besondere Umstände dartut, die ausnahmsweise ein Abweichen von diese Regel zulassen“.
Geht man auf die Hilfsfristen und ihre Einhaltungen in den einzelnen Rettungsdienstbereichen in Baden-Württemberg genauer ein, so stellt sich die Frage nach dem Wert der vom Ministerium vorgelegten Daten. Beispiel Calw. Hier lag die Einhaltung der Hilfsfrist im Jahr 2003 bei 92,0%. Im Jahr 2004 hielten die Calwer die Frist erneut zu 92,0% ein. Und im Jahr 2005 auch, genau wie 2006 – nur jeweils bei unterschiedlichen Einsatzzahlen. Ein anderes Beispiel. Im Jahr 2006 fielen im Kreis Ravensburg pro 1000 Einwohner 41,27 Einsätze an (275.900 Einwohner, 11.387 Notfalleinsätze) und im Kreis Neckar-Odenwald 20,56 Einsätze pro 1000 Einwohner (150.022 Einwohner, 3.084 Einsätze). Stellt sich die Frage, ob man im Neckar-Odenwald-Kreis doppelt so gesund lebt wie im Kreis Ravensburg!
Wenn man jedoch ehrlich ist, muss man auch zugeben, dass es schon immer Punkte gab, die nicht innerhalb der Hilfsfristen erreicht werden konnten. An diesen Punkten wird Hilfe beispielsweise bei einem Kammerflimmern nicht rechtzeitig eintreffen. Wenn hier jemandem etwas passiert hat der Betroffene Pech gehabt. Das mag zynisch klingen, ist aber die Realität und wird auch in Zukunft so sein, weil man nicht überall Rettungswachen errichten, First-Responder-Einheiten der Freiwilligen Feuerwehren gründen und für alle Eventualitäten des Lebens gerüstet sein kann. Ein Sprichwort besagt, dass das Leben lebensgefährlich sei, und das stimmt. Hieran wird auch der Rettungsdienst nichts ändern können, bei allem Engagement und gutem Willen.
Dennoch kann es nicht klaglos akzeptiert werden, dass es Wohngegenden gibt, in die es der Rettungsdienst aufgrund struktureller Gegebenheiten nicht rechtzeitig schafft. Unter der Hand ist hier von „Tälern des Todes“ die Rede, in denen zynischer Weise auch die Immobilienpreise recht günstig sind. Entweder die Verantwortlichen lösen die Problematik durch ein dichteres Rettungssystem im ländlichen Bereich, oder die Bevölkerung muss über die Situation aufgeklärt werden.
Doch nicht nur das Eintreffen des Rettungswagens ist notwendig, auch der Notarzt muss innerhalb kurzer zeit vor Ort sein. Während dies das Rettungsdienstgesetz in Baden-Württemberg regelt wird eine Vorgabe in anderen Bundesländern beispielsweise durch Erlasse erreicht. Eine vorbildliche Regelung, wie Dr. Dr. med Burkhard Dirks, 1.Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte e.V. und Sektionsleiter Notfallmedizin am Universitätsklinikum Ulm meint. „Bestimmte Notfallbilder benötigen einen Arzt, beispielsweise bei einem Kammerflimmern. Daher ist eine Hilfsfrist sowohl für den Rettungswagen als auch den Notarzt nur folgerichtig“, so der Mediziner.
Doch was ist die Konsequenz aus diesen Vorgaben? Ist das Leben in einzelnen Bundesländern gefährlicher als in anderen? Ist die Wahrscheinlichkeit bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand zu sterben in Bayern höher als im Saarland? Hierzu scheint es keine qualifizierten Statistiken zu geben, und auch das medizinische Zahlenmaterial selbst muss nach Angaben von Fachleuten mit Vorsicht betrachtet werden. Hintergrund hierfür ist, dass entsprechend den unterschiedlichen Lebensumständen, zum Beispiel im Ruhrgebiet und in Oberbayern, differenzierte Vorerkrankungen berücksichtigt werden müssen, die indirekt Einfluss auf das Ableben der Menschen haben können. Eine Absenkung der Hilfsfrist von 15 auf 10 Minuten soll internen Berechungen einer Krankenkasse zufolge rund 25-30% Mehrkosten zur Folge haben. Offiziell bestätigen will das aber niemand.
Das kostengünstigste Glied in der Rettungskette scheinen die Ersthelfer-Einheiten („First-Responder“) der Freiwilligen Feuerwehren und der Ortsverbände der Hilfsorganisationen zu sein. Sie verkürzen das therapiefreie Intervall und nehmen Erstmaßnahmen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes vor. Schon wenige Minuten nach dem Alarm können die aufgrund der räumlichen Nähe beim Patienten sein und mitunter lebensrettende Maßnahmen einleiten. Dies ist bekanntlich besonders bei Herz-Kreislauf-Stillständen von großem Nutzen, sinkt die Überlebensrate doch um rund 10 Prozent je Minute ab. Doch manche Feuerwehren haben ein Problem mit dem man zunächst nicht rechnen würde. Sie werden nicht immer rechtzeitig alarmiert. Die Gründe hierfür liegen in teilweise mangelndem Engagement des Disponenten, fehlenden klaren Vorgaben seitens des Gesetzgebers wann welche Mittel zu alarmieren sind und in immer noch räumlich und technisch getrennten Leitstellen von Feuerwehren und Rettungsdiensten.
Überhaupt scheint die Leistellenthematik indirekt einen großen Einfluss auf die Frage der Eintreffzeiten zu spielen. Teilweise über Jahre hinweg haben sich in einzelnen Landkreisen die Beteiligten gegenseitig blockiert und so gemeinsame Leistellen von Feuerwehren und Rettungsdienst erfolgreich verhindert. Gezielte Lobbyarbeit der Leistungserbringer hat generell strukturbezogene Veränderungen bisher verhindert. So wird heute noch die „gebührenpflichtige Dienstleister-Hotline“ 19222 vielerorts als Notrufnummer den Bürgern verkauft und so die europäische Notrufnummer 112 in Frage gestellt. Ein weiteres Problem ist auch, dass viele Landräte in Baden-Württemberg gleichzeitig Vorsitzende der DRK-Kreisverbände sind. Somit sind der Leiter eines Anbieters im Rettungsdienst und die Rechtsaufsicht ein und dieselbe Person! Ob hier objektive und sachbezogene Entscheidungen getroffen werden können mag jeder Leser selbst entscheiden. Gleiches gilt für das Betreiben der Rettungsleitstellen und die Frage ob Disponent, Aufseher und Retter ein und demselben Verein angehören sollten. Nur ein Verweis auf die Grundsätze des DRK sei erlaubt: zu diesen zählen „Unparteilichkeit“, „Neutralität“ und “Unabhängigkeit“.
Doch was ist nun die Lösung in Baden-Württemberg? Zwei Dinge sind anzustreben, um den momentanen Zustand zu verbessern und auch Problemen in der Zukunft vorzubeugen. Landräte und Mitglieder der Kreisführung von Hilfsorganisationen dürfen in Zukunft nicht mehr die gleichen Personen sein. Im Sinne der „politischen Hygiene“ sollten daher präventiv Interessenkonflikten aus dem Weg gegangen werden und sich die Beteiligten nicht auch nur in die Nähe des Vorwurfs der „Vätterleswirtschaft“ begeben. Dafür ist die Thematik der Notfallrettung einfach zu ernst! Auch sollten die Leistellen gesetzlich von den Anbietern der Hilfsorganisationen getrennt werden und die Aufgabe der Disposition in staatliche Hände übergehen. Dies wäre in einem neuen System beispielsweise beim Regierungspräsidium oder Außenstellen des Gesundheitsministeriums vorstellbar – unter Einbeziehung von geschulten Kräften und aktiver Fachaufsicht durch den Staat. So wie bisher kann es jedenfalls nicht weitergehen. Wenn man in der Metropolregion Rhein-Neckar den Notruf wählt kommt landet man je nach Standort in dem überschaubaren Gebiet entweder in Mannheim, in Heidelberg oder in Ladenburg. Der letztgenannte Standort wurde übrigens erst 2006 eröffnet, zuvor war die Alarmierung vom Rhein-Neckar-Kreis bei der Stadt Heidelberg (Berufsfeuerwehr) integriert gewesen.
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