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Blog von

Klaus Bethge, Isernhagen

ein trauriger Tag03.04.09 10:34
Ein trauriger Tag

Es ist ein herrlicher Sonntag Morgen, dieser 22 Juni 1969 und nichts, aber auch gar nichts deutete auf die Katastrophe hin, die unsere Wehr erschüttern sollte..

Wir sind gerade angetreten, ich, als der Dienstjüngste, habe meine Küche herzurichten, Kaffeewasser aufsetzen, die Mülleimer, die der Kollege der vorherigen Schicht mal wieder vergessen hat, runter zu bringen, als ich, auf dem Hofe stehend, eine donnernde Explosion höre. Ich merke, sie ist nicht sehr nah,
aber sie muss gewaltig sein..

Instinktiv weiß ich, wissen die Kollegen, daß da etwas Furchtbares passiert sein muss. Wir erstarren, warten instinktiv, praktisch automatisch, auf den Alarmgong..

Ein Kollege stürzt in die Fahrzeughalle, stellt ein Funkgerät an, wir kommen gerade rechtzeitig, um eine Stimme, die einfach irgendwie unnatürlich, nicht einmal hektisch, ruft: „Florian Hannover, schicken sie alles, was sie haben, hier brennt alles, hier ist alles tot!“

Eine Pause, ein Eisblock drückt mir das Herz zusammen, die Ohren hören es, aber der Verstand will die Nachricht nicht registrieren, kann sie nicht aufnehmen..
“Hier Florian, wiederholen Sie!“
„Florian, kommen sie, sie sind alle tot!“

Ich fühle, dass ich mich umsehe, und ich sehe die Kollegen wie durch einen Nebel..

Jetzt dröhnt der Alarmgong los: “Achtung Achtung, Alarm für den Dritten Zug und Unfallwagen, Explosion Bahnhof Fischerhof, Näheres über Funk!“

Wie wir auf die Fahrzeuge gekommen sind, Hakengurt und Helm fertig machten, - ich weiß es nicht mehr, ich weiß nur, dass der Blick in das Leere geht, so als ob wir jetzt bereits das Unfassbare wüssten, welches uns empfangen wird—

An der Einsatzstelle bietet sich ein Bild wie aus Dante’s ‚‘Inferno’. Zuerst sehen wir nur einen brennenden Güterzug, und dann die Fahrzeuge des Vierten Zuges, die aussehen, als seien sie mit einem Maschinengewehr beschossen. Dann sehen wir ihn, einen Kollegen, der uns entgegenwankt, völlig leeres Gesicht, nicht einmal Tränen.

Wir sitzen ab, bleiben am Fahrzeug, warten ab, was der Zugführer anordnet..

Dann die wenigen Meter nach vorne, zur Einsatzstelle und da liegen sie, unsere Kollegen, zerfetzt und zerrissen und zerschunden, teilweise nicht einmal sofort identifizierbar..

Was sollen wir tun, wo sollen wir anfangen?? Dieses ist weit mehr, als erfahrene Feuerwehrleute, geschweige ein solcher Neuling wie ich verarbeiten können.

Wir reagieren nicht mehr folgerichtig, wie man es von Feuerwehrleuten erwarten sollte, folgen völlig traumatisiert den Anweisungen unseres Zugführers, der genau wie wir hilflos das Grauen überblickt.

Was ist passiert??
Vor ca. 20 Minuten hat ein Güterzug das direkt neben unserer Wache gelegene Stellwerk passiert und ein Bahnbediensteter sieht aus einem Wagen, ziemlich in der Mitte des Zuges, weißen Rauch steigen..

Er versucht den Zug anzuhalten, was aber nicht mehr klappt und lässt ihn zum Bahnhof Fischerhof durchfahren, wo er dann gestoppt wird..

Dieser Bahnhof liegt direkt neben der damaligen HANOMAG, der ehemaligen großen Fabrik für Landmaschinen..

Ein Eisenbahner läuft zu dem Zug, in diesem Augenblick passiert noch ein Regionalzug , voll mit Ausflüglern , die den herrlichen Tag im Deister (kleiner Gebirgszug nahe bei Hannover) verbringen wollen, und zeitgleich, alles Dinge, die wir selbstverständlich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, verlässt die Morgenschicht die ca. 20 Meter entfernte Fabrikationshalle, um zum Frühstück zu gehen.

Dieser junge Eisenbahner sieht offensichtlich die in den am der Außenwand angebrachten Gitterkästen die Aufkleber mit dem Symbol der explodierenden Bombe, und er weiß Bescheid!

Es gelingt ihm noch, die Feuerwehr ist inzwischen, durch das vorgenannte Stellwerk alarmiert, den Wagen abzukuppeln und den Lokführer durch Handzeichen und/oder Zurufen zu bewegen, den abgekuppelten Zug vorzuziehen..

Mit ihm sterben drei weitere Eisenbahner, welche den restlichen Zug aus der Gefahrenzone bringen.

Auf der Wache 4 war, wie auch bei uns auf unserer Wache, gerade der Dienstwechsel, zwei Kollegen sind noch nicht fertig und ihre beiden Vorgänger springen noch einmal mit auf das Fahrzeug.

Einer davon ist der an der Einsatzstelle angetroffene Kollege, der schon Halbschuhe anhat und deshalb nicht sofort mit den Anderen vorgelaufen ist, sondern sich hinter der Drehleiter Gummistiefel anzieht.

Dieses hat ihm das Leben gerettet. Offensichtlich, soviel kann er später aussagen, ist der Eisenbahner den Kollegen der BF entgegen gelaufen, um sie zu warnen, aber es ist zu spät.

Auf seinem halben Wege fliegt der Waggon in die Luft und zerfetzt, zerstört und zerschlägt alles, was im Umkreis ist.

Acht Kollegen sind sofort tot, ein weiterer Kollege, ein älterer Hauptbrandmeister, wird bewusstlos vorgefunden, die Eisenbahner - tot!

Es zeigt sich später, dass die Fabrikhalle mit meterlangen Glasspeeren der Fenster förmlich überseht ist, überall liegen dicke Eisenbrocken herum.

Wir wissen nicht, wohin sich wenden, wir wissen nicht, wo anfassen, wir wissen nicht, ob es noch weitere Explosionen geben kann, wir wissen nicht einmal, WAS da eigentlich passiert ist..

Im Laufe des Tages kommt die ganze entsetzliche Wahrheit an das Licht: Es handelt sich um einen Güterzug, in dessen Verband vier Güterwagen mit Artilleriemunition des Kalibers 17,5 cm beladen sind.

Drei der Güterwagen können dank des Eisenbahners rechtzeitig aus der Gefahrenzone gezogen werden. Wären sie auch mit explodiert, was dann passiert wäre, meine Phantasie reicht nicht aus, sich dieses vorzustellen..

Ich kann es nicht verarbeiten, meinem Freund aus der Grundausbildung ‚‘Fritze‘ H. steckt ein meterlanger Eisensplitter im Rücken - er wollte in ein paar Wochen heiraten, - den Gernold N. kann man später nur anhand eines Werkstattschlüssels eindeutig identifizieren, ein Kollege lebt noch und klagt der Unfallwagenbesatzung (so hießen die damals noch) gegenüber: „Mir tut mein Arm so weh“- und die Kollegen sehen mit einem Blick, dass da gar kein Arm mehr war..

Was jetzt geschah, treibt uns, die wir dabei gewesen sind, heute noch die Wut in das Gesicht.

Die Presse fällt regelrecht über uns her und versucht uns noch an der Einsatzstelle auszufragen, irgendeiner muss sich versprochen haben, denn bei den Eltern des „Fritze“ H., taucht eine bekannte Boulevardzeitung auf und versucht, bevor da jemand von der Dienstelle war, um diese schlimme Nachricht zu überbringen, ein Photo käuflich zu erwerben und überbringt so ganz nebenbei auf diese Weise die Todesnachricht.

Eine Kollegenfrau erfährt es mittags auf der Wache, als sie ihrem Mann ein schönes Sonntagsmahl überbringen will. Es ist ein Tag, bei dem man glaubt, die Hölle wäre aufgebrochen.

Wir werden sehr bald abgelöst, wir sind einfach nicht in der Lage, weiterzumachen - es geht nicht!

Leider, und das ist heute sehr viel besser geregelt, bleiben wir auf der Wache alleine und machen ganz normal unseren Alarmdienst weiter, business as useal..

Ich werde als Jüngster auf den Unfallwagen (heute: R ettungs T ransport W agen) kommandiert, weil die UW-Besatzung naturgemäß dem größten Druck ausgesetzt und zu keiner Tätigkeit mehr in der Lage ist..

Später, in einer Personalversammlung wird dann auch sehr lautstark moniert, dass sich keiner zu uns gesellte, um zu versuchen, diese Tragödie abzufedern.

Nicht einmal unser damaliger Feuerwehrarzt läßt sich sehen, was ihm sehr verübelt wird.

Lediglich ein Vertreter des Personalrates kommt kurz vorbei, um die Namen, nachdem sie feststanden, bekannt zu geben. Aber auch er muss sofort weiter, sich um die Angehörigen kümmern.

Ein Kollege geht in ein Büro und holt ohne Weisung die Deutschlandflagge, um sie vor der Wache auf halbmast zu ziehen. Der Zugführer will intervenieren, aber er sieht sehr schnell ein, dass es jetzt besser wäre, keine Anweisungen zu geben. .

Wie wir den Tag herum bekommen, keiner weiß das heute noch wirklich.. Wir stehen und sitzen und reden und reden.. Inzwischen ist eine Freiwillige Feuerwehr zu uns auf die Wache eingerückt, um hier einsatzmäßig auszuhelfen, sie können und wollen einfach nicht glauben, was da passiert ist..

Wie tief solche Dinge gehen, hat mir das Verhalten meiner Frau, Jahre später, gezeigt.. Den nächsten Morgen hat sie nicht viel gesagt, mich nur in den Arm genommen und still geweint.

Wie sehr sie das aber getroffen haben muss, wie tief die Angst über alle die Jahre sitzt zeigt mir eine etwa 20 Jahre später passierte Geschichte:

Ich habe angesagt, dass ich am nächsten Morgen zur Personalversammlung wolle und nicht nach Hause kommen würde..

Jetzt hat sie aber Nachtwache (Krankenschwester) und es offensichtlich vergessen. Sie liegt im Bett und wartet auf ihren Dicken, der nicht kommt.

Ihre Angst wächst dann in das Unermessliche und sie ruft auf meiner Wache an, ob mir etwas passiert sei, oder wo ich bleibe??

Die Kollegen haben natürlich ihre Scherze gemacht, aber als ich den Hintergrund erzähle, wird es merklich ruhiger.

Jeder von uns weiß um die mehr oder weniger eingestandenen Ängste unserer Frauen, die sich Schicht für Schicht, etwas einhundert Mal im Jahr fragen, ob ihre Männer am nächsten Morgen gesund nach Hause kommen.
Geredet wird da selten drüber, aber jeder weiß es..
.
Doch wieder zurück, habe ich auch ein düsteres Bild eines Berufsstandes, dem der Journalisten gemalt, so muss hier doch gesagt werden, dass die seriösen Kollegen vom Presse und Funk sehr fair berichten, uns sehr behilflich waren mit einer sachlichen Berichterstattung über die Dinge, die dann folgen..

Die Beerdigung der toten Kollegen, der Trauerzug, der von der Rathaustreppe zur Trauerfeier erfolgt ist begleitet von einem Spalier von Bürgern, welche die Straßen säumen, auf Treppen und Rabatten stehen, um dicht gedrängt Abschied zu nehmen..

Man hat nicht nur das Gefühl, sondern man weiß, man spürt es: Hannover trauerte um acht seiner Besten...

Epilog:
Ein erbärmliches Bild aber zeigen einige Kommunalpolitiker, als es darum geht, wie die Hinterbliebenen nun versorgt zu versorgen seien..

Unsere Kollegen waren noch nicht unter der Erde, da finden findige Verwaltungsbeamte, offensichtlich mit einer Seele trockener als ein Kaktus in der Wüste, heraus, dass da ein Paragraph des Beamtenversorgungsgesetzes besteht, der, stark vereinfacht, in etwa Folgendes besagt: Kommt ein Beamter bei Erfüllung seiner Pflichten zu Tode UND hat die Gefahr voll erkannt, so erhält er die Pension nach der Höhe seines vermutlich erreichbaren Höchstdienstgrades, also: ein junger Beamter des Mittleren Dienstes nach A9, dem Dienstgrad eines Hauptbrandmeisters.

Hat er aber diese Gefahr NICHT erkannt, so wird er seinem letzten Dienstgrad, bei zwei der Kollegen der Feuerwehrmann zur Anstellung, eingestuft.

Hier wird ernsthaft argumentiert, dass die Kollegen, als sie sich dem brennenden Zug nähern, noch nicht um die Gefahr gewusst hätten, also könne es sich nicht um einen sogenannten “qualifizierten“ Dienstunfall gehandelt haben.

Inzwischen aber ist eine derartige Hilfsaktion von Feuerwehren und Privatpersonen angelaufen, Spenden für die Witwen gesammelt, über die auch von den Zeitungen und dem Fernsehen berichtet wird, dass diese Rechner sich sehr schnell beeilen, zu versichern, dass man selbstverständlich diesen Paragraphen aus „humanitären“ Gründen nicht anwenden wolle..

Ein Aufschrei der Wut, überwiegend in Form von Leserbriefen, geht durch den Blätterwald, aber auch hier verstehen es die Zuständigen, ihre Fürsorgepflicht und Loyalitäten zu versichern...

Offen gestanden glauben die Politiker immer noch an ein kurzes Gedächtnis der Bürger, ein Irrtum, der schon so manchem von ihnen die Karriere verdorben hat:

Wieder stehen wir am Grabe eines Kollegen, acht Wochen später, eine Geschichte, die bis heute nicht ganz geklärt ist. Sie bietet heute noch bei alten Kollegen Grund zu Spekulationen..

Der Kollege Bernd K hat den Auftrag, mit einem anderen Kollegen, der als Fahrer auf einem Krankenwagen fungiert, einen Patienten des Landeskrankenhauses Wunstorf aus dem Polizeigewahrsam zurückzuführen..
Dieser Patient der Psychiatrie war dort geflüchtet, von der Polizei in Hannover aufgegriffen und über Nacht in Gewahrsam genommen..

Nach Aussagen der Polizeibeamten habe es zu keinem Zeitpunkt Anzeichen für ein gewalttätiges Verhalten des Patienten gegeben, deshalb wird auf Polizeibegleitung, wie es damals zumindest möglich ist, verzichtet..

Etwa 100 Meter vor dem Krankenhaus, an einer geschlossenen Schranke, kommt es zu einem Schusswechsel mit einer Pistole im Wagen, bei dem der Kollege K- tödlich verletzt wird..

Nach Aussage des fahrenden Kollegen gelingt es dem Kollegen Bernd K., ehemaliger Grenzschutzbeamter, dem Patienten, obschon selber tödlich getroffen, noch die Pistole zu entwenden und den Flüchtenden ebenfalls tödlich anzuschießen..

Es bleiben, wie geschrieben, viele Fragen offen, zumal die Dienststelle damals eine öffentliche Diskussion untersagt..

Hier kommt es zum ersten Male zu einer Konfrontation mit der Dienststelle, als der Leiter der Ausbildungsabteilung, ein alter Weltkriegsoffizier mit eigenen Ansichten von Befehl und Gehorsam vor die angetretene Wachabteilung tritt, die nun dringend Aufklärung erwartet, was da nun eigentlich passiert war-
und verkündet, dass im Lagerraum ein altes Regal stehe und wer es haben wolle, der könne es sich mitnehmen!-

Jetzt ist das Maß voll, die Kollegen fühlen sich in einer unerträglichen Weise provoziert und legen auf der Hauptfeuerwache spontan die Routinearbeiten nieder.

Wohlgemerkt, nicht den Alarmdienst, der wird nie in Frage gestellt, aber Werkstattarbeiten und Übungsdienst werden verweigert, der Zivilangestellte der Kleiderkammer muss unter Androhung von Gewalt schwarzes Mantelfutter herauszugeben, damit die Kollegen Trauerflore anfertigen können. (Und die schwarze Fahnen der Revolution, die auch wirklich hochgezogen wird!)

Als dann auch noch ein junger Oberbeamter, auch als der „Erbsenzähler“ bekannt, verlauten lässt, wir seien lediglich zu faul zu arbeiten, da ist das Maß voll und der Mann muss sich einschließen, weil er sonst garantiert hätte Prügel bezogen..

Da immer noch die Frage des oben angeführten „Heldenparagraphen“ ungeklärt im Raume steht, gibt es eine spontane Personalversammlung.

Die anderen vier Wachen haben sich inzwischen dem Protest angeschlossen, ein Feuerwehrmann hat seine Verbindungen zur Presse spielen lassen, so dass die Sache auch nicht mehr leise erledigt werden konnte und Vertreter der Stadtverwaltung eilen herbei, um uns unsere diziplinaren Folgen vor Augen zu führen..

Leider geht diesen Tag die Sache aus wie das Hornberger Schießen, aber die Presse führt den Bürgern, denen die Erinnerungen an das Explosionsunglück immer noch allzu frisch im Gedächtnis ist, erneut vor Augen, wie man mit uns umgeht..

Tatsache ist, dass eine Reihe von Vorgesetzten in der folgenden Zeit sehr leise reden, wenn sie Feuerwehrleute ansprachen..

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